Nachdem auch wichtige Unterstützer von Bolsonaro und sogar die USA den Wahlausgang in Brasilien akzeptierten, wurden die Massenproteste der von Bolsonaro durch sein Schweigen angestachelten Anhänger langsam abgeschwächt. Der Militärputsch ist vorerst ausgeblieben. Daher nun hier eine tiefergehende Analyse dieser so wichtigen Wahl für BRICS+, den Multipolarismus und eine mögliche Verhinderung von Krieg.
Von Jochen Mitschka
Sollten die 12 Länder, welche von Russland als Antragsteller für BRICS genannt wurden, angenommen werden, könnte sich eine Gruppe bilden, die ein 30 Prozent größeres BIP als die USA haben, mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren und ca. 60 Prozent der Weltgasreserven ihr Eigen nennen. Aber auch in den USA beginnt ein Umdenken.
US-Hegmonie hinterfragt
Zunächst zu einem Artikel in Foreign Affairs in dem zwei der angeblich angesehensten US-Wissenschaftler von Harvard, Stephen Walt und Dani Rodrik gefordert haben, dass die USA eine neue und bessere, eine multipolare Weltordnung akzeptieren solle. Damit formiert sich endlich in den USA der Widerstand.
Sie schreiben, dass der “bestehende, westlich orientierte Ansatz [zur Bewältigung] der vielen Kräfte, die die internationalen Machtbeziehungen bestimmen”, “nicht mehr angemessen” sei. Daher sollte eine andere Ordnung geschaffen werden, die “nicht-westliche Mächte berücksichtigt und eine größere Vielfalt toleriert”. Diese neue Ordnung würde vermeiden, “weitere Konflikte” hervorzurufen, und zu mehr Stabilität führen.
Denn die Ursache für Instabilität liege darin, “wirtschaftliche und geopolitische Dominanz zum obersten Ziel zu machen“. Das Erreichen dieser stabileren multipolaren Weltordnung sei “nicht so schwer ist, wie es klingen mag” und sie schlagen “einen einfachen, vierteiligen Rahmen vor, um die Beziehungen zwischen den Großmächten zu lenken.”
Nun aber zu
Brasilien
Nach dem knappen Wahlausgang in Brasilien, aus dem einer Gründer von BRICS und ehemalige Präsident des Landes, der durch einen Justizputsch zeitweise unter falschen Anschuldigungen im Gefängnis saß, Luiz Inacio Lula da Silva, als Sieger hervorgegangen war, blieb der unterlegene rechte Jair Bolsonaro schweigsam, gestand seine Niederlage nicht ein. Dadurch waren seine teilweise rechtsextremen Anhänger darin bestärkt worden, Wahlfälschung zu behaupten und über mehrere Tage mit der Blockade von wichtigen Verkehrsadern, das Land an den Rand des Verkehrszusammenbruchs zu bringen. Aber ihr Ruf nach einem Militärputsch blieb glücklicherweise unerhört. Sicher auch, weil schließlich auch die USA das Wahlergebnis anerkannt hatten. Ein Militärputsch ohne die Unterstützung der US-Regierung wäre wenig aussichtsreich gewesen.
Erstaunlicherweise erfuhr Lula Unterstützung aus den unterschiedlichsten, und teilweise gegnerisch eingestellten Kreisen der Welt. Entscheidend aber für seinen Sieg war sicher Lulas Fähigkeit im eigenen Land Bündnisse zusammen zu binden. Und so wird seine Wahl sowohl von Linken, der Mitte aber auch von liberalen Rechten Brasiliens begrüßt. Lula hatte in seiner ersten Rede nach der Bestätigung seines Sieges durch das Oberste Wahlgericht deutlich gemacht, dass es nicht um eine linke Ideologie gehe, sondern darum, einen bestmöglichen Konsens für das Land zu finden.
Nicht nur ein ehemaliger Gefängnisaufseher war durch den Charakter von Lula so überzeugt, dass er heute zu einem wichtigen persönlichen Sicherheitsbeamten wurde, sondern auch 10 unterschiedliche Parteien hatten Lula bei der Wahl unterstützt. Auch die beiden Präsidentschaftskandidaten, die an 3. und 4. Stelle abgeschnitten hatten, riefen dazu auf, Lula bei der Stichwahl zu unterstützen.
Rita Freire hat im Middle East Monitor allerdings darauf hingewiesen, dass der neue Präsident es nicht leicht haben wird. Der künftige Kongress werde eine Oppositionsmehrheit haben – die Wähler haben mehrere rechtsextreme Ex-Minister in den Senat gewählt. Lula stehe vor einer Prüfung, die ihn an die Grenzen seiner Fähigkeiten zum politischen Dialog bringt. Die frühere Präsidentin Dilma Rousseff, die 2014 mit knapper Mehrheit gewählt wurde, habe sich mit der Aufwiegelung durch Parteien konfrontiert gesehen, die bei den Präsidentschaftswahlen unterlegen waren, im Kongress jedoch siegreich. Lula hingegen verfüge über diplomatisches Geschick, das allen seinen Anhängern Hoffnung macht.
Nun muss man einwerfen, dass das politische System Brasiliens wesentlich weniger destruktiv in Blöcken arbeitet, und in der Vergangenheit auch Abgeordnete der Opposition immer wieder für Lulas Politik gestimmt hatten.
Freire erklärt, dass Lulas Glaubwürdigkeit als Staatsmann im Ausland erstaunlich sei. Celso Amorim, Lulas ehemaliger Außenminister und prominenter Berater, habe in einem Interview gesagt, Staatsoberhäupter aus der ganzen Welt hätten fast ohne Unterbrechung angerufen, um Lula zum Sieg zu gratulieren. Nun sei Brasilien wieder zu einer führenden Kraft in der globalen Arena geworden.
Die Autorin wies darauf hin, dass die Medien berichtet hatten, wie die Länder der Welt Lula gratulierten, offensichtlich einerseits, um Bolsonaro davon abzuhalten, seine angekündigte Nichtanerkennung der Wahl wahrzumachen, andererseits um sich guter Beziehungen zu einem der wichtigsten BRICS-Länder zu sichern.
„Der frustrierte Bolsonaro – der erste Präsident der Neuen Republik, der nicht wiedergewählt wurde – versteckte sich im Präsidentenpalast, ohne den Sieg seines Gegners anzuerkennen, während aus allen Ecken der Welt ein Sturm des Lobes kam, in der Hoffnung auf viel bessere Beziehungen zu Lula.“
Natürlich waren insbesondere die um Selbständigkeit ringenden lateinamerikanischen Länder voller Freude über den Sieg, ebenso wie die Karibikstaaten. In der EU war Joseph Borrell, der die Außenpolitik des Bündnisses vertritt, unter den Gratulanten. Ebenso wie Justin Trudeau, der kanadische Premier. Was wiederum Stimmen in den sozialen Medien laut werden ließen, welche darauf hinwiesen, dass Lula an Sitzungen des WEF teilgenommen hatte. Was meiner Meinung nach aber nicht bedeutet, dass Lula Teil des „Great Reset“ im Sinne des Finanzkapitalismus sein will.
Interessanterweise haben sowohl die Ukraine als auch Russland Lulas Wahl gelobt. Was auf seine Vermittlerfunktion hindeutet, die schon zum Abschluss des JCPOA mit dem Iran geführt hatte. Einem Vertrag, der für viele Jahre hätte Ruhe in die Region bringen können, wäre er nicht durch Trump gebrochen worden, indem er sich, ohne auf die Ausstiegsbedingungen des Vertrages Rücksicht zu nehmen, daraus zurückzog. Dies obwohl die Vereinbarung durch den Sicherheitsrat zu einem Völkerrechtsvertrag hochgestuft worden war.
Natürlich war die Wahl Lulas, der die Besatzung Palästinas verurteilt, von den Menschen dort mit Begeisterung aufgenommen worden. Rita Freire weist darauf hin, dass die israelische Zeitung The Jerusalem Post den Verlust eines Freundes in Brasilien beklagte. Die enge Freundschaft zwischen Tel Aviv und Bolsonaro habe sich in seiner First Lady widergespiegelt, da Michelle Bolsonaro bei den Wahlen ein T-Shirt mit einer israelischen Flagge getragen habe.
Interessanterweise wurde Lula aber vom israelischen Präsidenten Isaac Herzog gelobt, der an den Besuch des ehemaligen Präsidenten in dem zionistischen Land erinnerte. Allerdings:
„Die israelischen Medien hingegen äußerten ihren Groll und zählten zahlreiche Situationen auf, in denen Lula das palästinensische Volk begünstigt hatte. Die Presse vergaß nie, dass Lula sich weigerte, Blumen zum Grab von Theodor Herzl zu bringen, dem Gründervater des Zionismus, dem ideologischen Projekt der ethnischen Säuberung, das den Staat Israel schaffen sollte. Stattdessen besuchte Lula das Mausoleum von Jassir Arafat.“
Absolute Kehrtwende in der Israel-Politik
In der Vergangenheit hatte Brasilien, wie die EU, eine Zweistaatenlösung für Palästina gefordert. Israel wurde zwar in den Grenzen von 1967 als Staat anerkannt, aber die Besatzung Palästinas nie akzeptiert, sondern alle politischen Führungen des Landes hatten sich für die Rechte der Palästinenser eingesetzt.
Bis Bolsonaro an die Macht kam. Seine rechtsextreme Regierung stellte sich bedingungslos hinter die zionistische Besatzung, noch bedingungsloser wie es die deutsche Regierung tut. Bolsonaro wollte sogar die Botschaft, wie die USA unter Trump, völkerrechtswidrig von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen. Aber dieser „regelbasierte“ Schwenk scheiterte am massiven Widerstand der Wirtschaft, welche drastische Einbußen der Exporte in arabische Länder befürchtete.
Neben Lula gibt es einen weiteren Politiker in seinem Umfeld, der international größte Hochachtung genießt. Celso Luiz Nunes Amorim, der von Foreign Policy 2009 „Weltbester Außenminister“ genannt worden war, wird vermutlich nicht mehr selbst Außenminister werden, aber spielt im Team von Lula eine große Rolle.
In dem o.g. Artikel wird eine Rede Lulas zitiert, welche symptomatisch für den bevorstehenden Politikwechsel anzusehen ist. Lesen Sie diese im Anhang.
Der Putsch
Seit 2005 hatte die Rechte Brasiliens eine Hasskampagne losgetreten, die schließlich zu der illegalen Verhaftung Lulas führte, und zu einem Amtsenthebungsverfahren gegen seine Nachfolgerin Rouseff, natürlich auch unter falschen Anschuldigungen. Worauf Bolsonaro die darauf folgende Wahl gewann. Ein erfolgreicher Justizputsch, der aber von mutigen investigativen Journalisten und Whistleblowern schließlich aufgedeckt worden war.
Letzteres hatte aber dazu geführt, dass Rechtsextreme noch extremer auf den Straßen aktiv wurden. Möglich war die Straßen-Blockade, weil die Polizeibehörde, die für diese Straßen bzw. Autobahnen zuständig war, in Lula freundlichen Wahlbezirken illegale Methoden eingesetzt hatte. Dabei allerdings durch Videoaufnahmen entlarvt worden war.
Um zu erklären, warum ausgerechnet die Lastwagenfahrer nach der Wahl begonnen hatten, Straßensperren zu erreichten, sollte man wissen, dass Bolsonaro mehr als 10 Milliarden US-Dollar in den Verkehrssektor investiert hatte, um seine Wiederwahl zu ermöglichen. So gab er den selbständigen LKW-Fahrern monatlich 1.000 brasilianische Rial als Zuschuss zu den durch die Inflation steigenden Treibstoffkosten. Und weniger als zwei Wochen vor der Wahl hatte Bolsonaro angekündigt, alle Raten bis zum Jahresende im Voraus zahlen zu wollen.
Ab dem 31. Oktober drohte die Regierung dann doch härtere Maßnahmen gegen Beamte und Kommandeure der Bundes- und Landespolizei an, die an diesen Aktionen beteiligt waren.
Der Aufruf der Demonstranten zum gewaltsamen Putsch war insofern besonders gefährlich, da Bolsonaro den Verkauf von Waffen freigegeben hatte, und die Verkäufe an Zivilbevölkerung und Milizen so stark war, dass sie sogar die Bewaffnung von Militär und Polizei zusammen überboten wie Rita Freire berichtet. Außerdem hatte Bolsonaro angeordnet, dass die Armee, also ausgerechnet jene Organisation, die bereits Militärputsche zu verantworten hatte, für die Bewertung der Sicherheit und Effektivität der Wahlmaschinen zuständig sein sollte. Deshalb hatten viele Menschen den Atem angehalten, bis die Armee schließlich die Korrektheit des Wahlausgangs bestätigt hatte.
Hunger und Not unter Bolsonaro
Hatte die Armut unter Lula abgenommen, waren nach dem Antritt Bolsonaros wieder Millionen von Arbeitern mit dem Kampf gegen den Hunger beschäftigt.
„Das brasilianische Forschungsnetzwerk für Lebensmittel- und Ernährungssouveränität und -Sicherheit (Rede Penssan) unterstrich, dass mehr als 33 Millionen Menschen ohne Zugang zu Grundnahrungsmitteln leben.“
Die Arbeitslosigkeit in Brasilen stieg unter Bolsonaro auf 14 Prozent. Nur durch Stimmenkaufmaßnahmen kurz vor den Wahlen war die Not vieler Arbeitnehmer leicht zurückgegangen, erklärt die Autorin des oben genannten Artikels. Hinzu komme, dass Bolsonaro die Kopplung des Mindestlohns an die Inflation aufgehoben hatte, was zu Lohnsteigerungen führte, welche die Inflation nie ausgleichen konnten, und nicht nur die Ausbeutung der Ärmsten noch dramatischer machte, sondern andererseits auch die Kaufkraft schwächte.
Bolsonaros Verzögerungen bei der Umsetzung von Corona-Maßnahmen hatte nichts mit Menschenfreundlichkeit zu tun, sondern war alleine der Macht von Wählergruppen zuzurechnen, welche Verluste befürchteten.
„Im Gesundheitssektor genehmigte Bolsonaro die Streichung von 22.400 Stellen, darunter 10.600 Gemeindebedienstete, bis Ende 2019. Der rechtsextreme Präsident änderte die Regeln für die Überweisung von Geldern an das Einheitliche Gesundheitssystem (SUS) und verlangte ein neues System der Benutzerregistrierung, um die den Gemeinden zugewiesenen Beträge zu kürzen – die für die Betreuung eines großen Teils der Bevölkerung verwendet werden, der oft ignoriert wird.“
Kurz vor der Wahl hatte Bolsonaro noch versucht, die hungernde Bevölkerung durch eine zeitlich beschränkte Hilfe und andere Maßnahmen auf seine Seite zu ziehen. Aber sie dürften nicht vergessen haben, dass es Bolsonaro war, der sie erst in ihre missliche Lage gebracht hatte. Hinzu kam, dass er viele lebensnotwendige Leistungen nur als Kredite mit hohen Zinsen vergab, welche die verarmten Massen in noch größere Nöte trieb.
„Im Juli billigte der Kongress eine Verfassungsänderung, die es der Regierung erlaubt, während des Wahlkampfs 41,25 Mrd. R$ an Mitteln für Sozialprogramme und Renten aufzubringen. Bei der Festlegung der Zahlungen hat die Regierung absolute Freiheit.“
Bolsonaro habe auch eine Veränderung eingeführt, welche Korruption quasi institutionalisierte, berichtet ebenfalls Rita Freire. Zumindest aber die Intransparenz von Geldflüssen aus den Regierungsbudgets drastisch erhöhte. Dadurch konnten Abgeordnete Mittel direkt vom Staat in ihre Bezirke überweisen. Deshalb, so die Kritik, gab es keinen Überblick mehr darüber, wie, von wem und wo das Geld verwendet wurde. Kritiker erklären, dass hierdurch lediglich die „Überzeugung“ von Abgeordneten unterstützt werden soll, „richtig“ abzustimmen.
Umwelt
Während die Regierung unter Lula die Abholzung des Regenwaldes um 80 Prozent reduzierte, hatte Bolsonaro sie wieder um 70 Prozent erhöht, und sie über Jahre gefördert. Dabei geht es nicht nur um das Klima, sondern vielleicht noch stärker um die Erhaltung von Artenvielfalt und den Schutz indigener Rechte.
„Einer der Rückschläge war der Gesetzesentwurf Nr. 2633/2020, bekannt als ‚Land Grabbing Bill‘, der die Inspektionen auf mittelgroßen ländlichen Grundstücken abschafft und es den Invasoren ermöglicht, ihr Eigentum an enteigneten Ländereien von indigenen Ländern und afrobrasilianischen Siedlungen, den Quilombolas, zu ‚legalisieren‘.“
Der Umweltschutz sei eines der Wahlkampfversprechen Lulas, schreibt die Autorin des erwähnten Artikels, ein Versprechen, das er in seiner Siegesrede am 30. Oktober mit Nachdruck bekräftigte.
Finanzprobleme
Der brasilianische Bundeshaushalt ist durch eine gesetzliche Ausgabenobergrenze seit 2016 beschränkt. Lula braucht aber Geld, um seine Sozialprogramme zu finanzieren. Unter Bolsonaro waren die Ausgaben für Gesundheit und Bildung auf historische Tiefen gesunken.
Die Rechnung gehe nach Medienberichten nicht auf, erklärt Freire. Der Bolsonaro-Regierung fehle am Jahresende ein Defizit von umgerechnet über 1 Milliarde Euro. Und das während auf den Straßen die Zahl hungernder Menschen zunimmt, und die Armut Rekordhöhen erreicht.
Durch das wachsende Elend sei auch die Zahl der Morde, Vergewaltigungen und Ermordungen von Frauen im Familienkreis drastisch angestiegen. Dutzende von kriminellen Gangs seien nun im ganzen Land aktiv geworden. Das in Verbindung mit der Bewaffnung der Bevölkerung durch Bolsonaro wird vielleicht die gefährlichste Herausforderung für Lula werden.
Modell Brasilien
Besonders die Entwicklungsländer schauen nun sehr aufmerksam nach Brasilien. Scheitert Brasilien, wird eine BRICS-Teilnahme weniger attraktiv. Ist Brasilien in der Lage, die Armut ähnlich zu bekämpfen, wie es China gelang, den Wohlstand des Landes gerechter zu verteilen, als dies unter Bolsonaro möglich war, werden nicht nur die in Medien genannten 12 Länder, die an BRICS interessiert sein sollen, Anträge auf Mitgliedschaft stellen.
Historische Ereignisse
Ein weiteres historisches Ereignis findet in Kürze statt, und vermutlich wird wenig darüber in westlichen Medien zu finden sein. Der chinesische Präsident Xi Jinping plant seinen zweiten Staatsbesuch in Saudi-Arabien. Er soll US-Medien zufolge Anfang Dezember stattfinden.
Die USA und ihre Vasallen in Europa hatten in der Vergangenheit „den Markt“ für die Preisfindung von Öl und Gas immer wieder in den Vordergrund gehoben. Man kann nur spekulieren, dass dies der Macht der Finanzspekulanten zufolge die gewählte Politik war. Nun stehen die Staaten vor den Trümmern ihrer Wirtschaft wegen unglaublicher Spekulationsgewinne „des (Finanz)Marktes“. Dem gegenüber waren sowohl OPEC als auch Russland immer wieder der Meinung gewesen, dass langfristige Verträge sowohl für Lieferanten als auch Beziehern der Energie Planungssicherheit geben und damit wirtschaftsfördernd wirken würde.
China hat sich schon länger dieser Meinung angeschlossen und steht kurz vor der Realisierung riesiger langfristige Lieferverträge mit Saudi-Arabien. Daraus erkennbar sind die dramatischen Verschiebungen in der Geopolitik. Die Vision einer multipolaren Welt wird endlich deutlich vorangetrieben, nachdem sie über Jahre ein Schattendasein gefristet hatte. Eine Ordnung, die auf gegenseitigem Respekt und einer Win-Win-Situation basiert. Dies im Gegensatz zur unipolaren Weltordnung, die alleine von den Interessen des Hegemons, bzw. der seine Politik bestimmenden Kreise, bestimmt wird. Der indische Ex-Diplomat M. K. Bhadrakumar schreibt, dass nach den gerade erfolgten Kongresswahlen der Streit über die Beteiligung am Ukraine Krieg zunehmen dürfte.
Während in den USA Medien bereits darüber spekulieren, wie groß die Gefahr eines zweiten US-Bürgerkrieges ist, sehen laut Bhadrakumar sowohl China als auch Saudi-Arabien, dass sich das Imperium immer stärker aus Westasien zurückziehen wird.
Ein wichtiges Gesprächsthema bei Xis Besuch in Saudi-Arabien werde die außenpolitische “Look East“-Strategie des Landes sein, die den Rückzug der USA spätestens seit Mitte des letzten Jahrzehnts vorweggenommen habe. Zweifellos habe Peking die Verschlechterung der Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien genau beobachtet. Und es sei Peking nicht entgangen, dass die Saudis in letzter Zeit inmitten der Spannungen zwischen Kronprinz Mohammed bin Salman und Biden eine Energiekooperation mit China anstrebten.
Der Autor weist auf Treffen hoher Diplomaten der beiden Länder hin, und dass es insbesondere um den Ölmarkt ging, und dass die langfristige und stabile Versorgung einerseits und Lieferungsmöglichkeit andererseits, Vorrang habe.
Der Exdiplomat stellt fest, dass dies mehr oder weniger das sei, was die OPEC Plus (russisch-saudische Ölallianz) immer wieder sagt. Aber natürlich werde auch über Investitionen im Rahmen der chinesischen „Belt and Road“ Vision diskutiert. Außerdem wolle China Saudi-Arabien helfen, die friedliche Nutzung der Kernenergie auszubauen.
Zweifellos sei durch die Treffen ein Signal an die USA verbunden. Und Saudi-Arabien versuche, die einseitige Abhängigkeit von den USA durch eine souveräne und eigenständige Außen- und Entwicklungspolitik zu ersetzen.
Während die Politik der USA droht, jederzeit ihre „wertebasierte“ Politik gegen frühere Freunde einzusetzen, sehen die meisten Länder in der absoluten Nichteinmischungspolitik der Vergangenheit, die Chinas Markenzeichen ist, verlässlichere Zukunftsperspektiven.
Neben den immer stärker werdenden Verbindungen zu China, unterhält Saudi-Arabien auch engere Beziehungen zu Russland. Mit einem Bein in der Shanghai Cooperation Organisation, allerdings noch nur mit Beobachterstatus, strebt Saudi-Arabien auch eine BRICS-Mitgliedschaft an. Und trifft dann dort auf den bisherigen Erzfeind Iran. Dramatischer können politische Entwicklungen derzeit kaum sein.
Allerdings weist Bhadrakumar darauf hin, dass das saudische Bestreben, die strategische Autonomie zu stärken, so lange gefährdet bleibe, wie der Petrodollar das Land an das westliche Bankensystem binde. Daher müsse Saudi-Arabien eine wichtige Entscheidung darüber treffen, ob seine 1971 eingegangene Verpflichtung, den amerikanischen Dollar als “Weltwährung” zu etablieren (und damit das Gold zu ersetzen), und seine Entschlossenheit, für den Ölhandel ausschließlich Dollars zu verwenden, weiterhin gültig sein soll. Letztlich habe dies den aufeinander folgenden US-Regierungen im letzten halben Jahrhundert ermöglicht, nach Belieben Papiergeld zu drucken, es durch Geldwäsche zu vermehren und schließlich den Dollar als mächtigstes Instrument zur Durchsetzung der amerikanischen Hegemonie auf der ganzen Welt einzusetzen.
Nun habe das Wall Street Journal bereits darauf hingewiesen, dass zwischen Saudi-Arabien und China bereits Verträge im Gespräch seien, welche auf dem chinesischen Yuan als Zahlungsmittel basierten. Bhadrakumar ist der Meinung, dass es heute wahrscheinlicher denn je sei, dass Saudi-Arabien seinen bisherigen Dollarkurs ändern wird, und immer größer werdende Mengen in anderen Währungen fakturiert. Was den tektonischen Machtverschiebungen dann noch einen größeren Ruck verpassen dürfte.
Bild: Die Welt verändert sich, eine neue Zeit bricht an
Autor: Peace,love,happiness
Quelle: pixabay.com
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