Eine umfassende Auswertung von Studien aus Großbritannien zeigt: Kürzere Arbeitszeiten – in Form einer 4-Tage-Woche – bringen Entlastung für die Menschen und das Klima. Denn nicht nur wir werden weniger belastet, sondern auch die Umwelt. In Großbritannien würde die Umstellung auf eine 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich so viel CO₂ einsparen, wie die Abschaffung aller privaten PKWs auf den Straßen.
Von kontrast.at
Das Klimabewusstsein in der Gesellschaft war wohl noch nie so hoch wie heute. Zumindest wenn es um die Dringlichkeit geht, dem Klimakollaps entgegenzuwirken. Laut einer Umfrage des österreichischen Klimaministeriums sind 8 von 10 davon überzeugt, dass wir unser tägliches Verhalten ändern müssen, um die Klimakrise zu stoppen. Die offene Frage, die bleibt, ist: wie? Denn mit kleinen Reformen ist es nicht getan. Das wissen wir hier und in anderen Ländern.
Ein Überblick über internationale Studien zeigt nun, dass eine wirkliche Wende in der Klimapolitik in einem Bereich erreicht werden könnte, den viele Menschen gar nicht vermuten – bei unseren Arbeitszeiten. Nämlich dann, wenn wir sie verkürzen. Damit würden gleich mehrere Ziele erreicht: Die Zeit würde gerechter verteilt, die Beschäftigten blieben länger gesund und der CO₂-intensive private Autoverkehr würde rapide zurückgehen.
Die 4-Tage-Woche in Großbritannien könnte mehr als ein Fünftel des CO₂-Verbrauchs einsparen
Der britische Umweltwissenschaftler Laurie Mompelat hat zusammen mit dem Wirtschaftswissenschaftler Mika Minio-Paluello aufgeschlüsselt, dass der CO₂-Fußabdruck des Landes um 127 Millionen Tonnen pro Jahr reduziert werden könnte, wenn ganz Großbritannien auf eine 4-Tage-Woche umstellen würde. Das ist eine Reduzierung um mehr als ein Fünftel (21,3 Prozent insgesamt) – also eine sehr große Sache. Dies hätte den gleichen Effekt wie die Abschaffung aller Privatfahrzeuge (etwa 27 Millionen Autos).
Die 4-Tage-Woche als Instrument für mehr Klimaschutz könnte vieles aufholen, was bisher versäumt oder einfach nicht erreicht wurde. Zwischen 1990 und 2016 gelang es Großbritannien, die Emissionen innerhalb seiner Grenzen um 41 Prozent zu reduzieren, die Emissionen aus dem Konsum von Waren und Dienstleistungen sanken jedoch nur um 15 Prozent. Letztere CO₂-Emissionen werden im Ausland freigesetzt – zum Beispiel durch die Produktion von Kleidung, Elektronik oder verarbeiteten Lebensmitteln -, werden aber dem britischen Fußabdruck zugerechnet. Und vor allem der Konsum müsste individuell angegangen werden – was als schwierig und langsam gilt.
Soziologin Juliet Schor: Längere Arbeitszeiten verursachen mehr Emissionen
Eine Verkürzung der Gesamtarbeitszeit könnte jedoch eine zentrale Rolle bei der Dekarbonisierung des Landes spielen. Ein Tag weniger Arbeit pro Woche bedeutet auch einen Tag weniger Pendeln, weniger Energieverbrauch in vielen Unternehmen – auch in Büros – und weniger CO₂-intensive Tätigkeiten in privaten Haushalten durch den gestiegenen Zeitwohlstand. Die Menschen haben also auch einfach mehr Zeit für Aktivitäten und Tätigkeiten, die langsamer und zeitintensiver, aber umweltfreundlicher sind. Die Soziologin Juliet Schor fasst den Zusammenhang kurz und bündig zusammen: „Längere Arbeitszeiten bedeuten mehr Emissionen. Geringere Arbeitszeiten bedeuten weniger Emissionen. Dieser Zusammenhang wird als Skaleneffekt bezeichnet und betrifft die Größe der Wirtschaft. Also: mehr Arbeit bedeutet eine größere Wirtschaft, bedeutet mehr Produktion. Und mehr Produktion ist mit mehr Emissionen verbunden.“ Schor untersucht die 4-Tage-Arbeitswoche in mehreren Ländern.
Auch außerhalb des Arbeitsplatzes ist ein Rückgang der Emissionen zu beobachten, wenn wir mehr Freizeit haben. Das erklärt der deutsche Technologieforscher Philipp Frey:
„TATSÄCHLICH LÄSST SICH ZUMINDEST IN EUROPA UND NORDAMERIKA ANHAND VON SATELLITENMESSUNGEN EINE POSITIVE KORRELATION ZWISCHEN ARBEITSTAGEN, AN DENEN MEHR EMITTIERT WIRD, UND WOCHENENDTAGEN, DIE IN DER REGEL ARBEITSFREIE TAGE SIND, AN DENEN WENIGER EMITTIERT WIRD, FESTSTELLEN. DIE EMISSIONEN AN EINEM ARBEITSTAG SIND FAST DOPPELT SO HOCH WIE AM WOCHENENDE.“
Wenn es um das Klima geht, können wir nicht nur über Verzicht reden, sondern auch darüber, wie wir die Arbeit neu organisieren
Wenn wir mehr freie Zeit – und damit weniger Stress – haben, entscheiden wir uns eher dafür, Dinge zu Fuß, mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Fahrrad zu erledigen. Wir gehen einkaufen, statt online zu shoppen, wir kochen selbst, statt zu Tiefkühl- und Fertiggerichten zu greifen. Die positiven Folgen für unser Klima können gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, meint Philipp Frey vom Karlsruher Institut für Technologieforschung:
„ARBEITSZEITVERKÜRZUNGEN KÖNNEN EINERSEITS EINEN BEITRAG ZUR BEKÄMPFUNG DER KLIMAKATASTROPHE LEISTEN UND SIND GLEICHZEITIG FÜR DIE BESCHÄFTIGTEN ATTRAKTIV. ANDERERSEITS SIND SIE FÜR DIE BESCHÄFTIGTEN ATTRAKTIV. DAS GIBT UNS DIE MÖGLICHKEIT, AUS EINEM DISKURS ÜBER VERZICHT HERAUSZUKOMMEN – UND IN EINE DEBATTE DARÜBER EINZUSTEIGEN, WIE WIR UNSEREN WOHLSTAND IN FORM VON ZEIT STEIGERN KÖNNEN. UND UNTER DIESEM BLICKWINKEL IST ES AUCH EIN GUTES ZEICHEN, DASS DER JÜNGSTE BERICHT DES ZWISCHENSTAATLICHEN AUSSCHUSSES FÜR KLIMAWANDEL DIE ARBEITSZEITVERKÜRZUNG AUSDRÜCKLICH ALS MÖGLICHE KLIMASCHUTZMASSNAHME NENNT.“
Laurie Mompelat und Mika Minio-Paluello führen auch die möglichen Einsparungen beim CO₂-Verbrauch durch eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung an – und fassen auch andere internationale Studien zusammen.
Effekt 1: Der Stromverbrauch sinkt – weniger Heizung, weniger Elektronik
Studien zeigen, dass eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit in der Regel mit einer deutlichen Senkung des Energieverbrauchs einhergeht. Das liegt daran, dass man Strom spart, der sonst am Arbeitsplatz verbraucht würde. Das liegt daran, dass viele Geräte, die z. B. in Büros üblich sind, dann weniger in Betrieb sind. Beleuchtung, Heizung, Aufzüge, Computer, Kantinen. Auch im verarbeitenden Gewerbe sinkt der Energieverbrauch.
In einem groß angelegten Experiment, das zwischen 2008 und 2009 im US-Bundesstaat Utah durchgeführt wurde, wurden 17.000 Angestellte des öffentlichen Dienstes auf eine Vier-Tage-Woche umgestellt. Dabei zeigte sich, dass durch den arbeitsfreien Freitag enorme Energieeinsparungen möglich waren. 6.000 Tonnen pro Jahr könnten in Utah durch eine 4-Tage-Woche eingespart werden, heißt es in einem Zwischenbericht über das Experiment. 12.000 Tonnen, wenn man die Einsparungen beim Pendeln hinzurechnet.
Im Jahr 2020 veröffentlichte Autonomy einen Bericht, der zu dem Schluss kam, dass ein 3-Tage-Wochenende die CO₂-Emissionen im Vereinigten Königreich um 117.000 Tonnen pro Woche verringern könnte.
Effekt 2: Pendeln nimmt ab
Eine kürzere Arbeitswoche bedeutet auch weniger CO₂, das durch Autos verursacht wird, weil weniger gependelt wird. In einer Studie der University of Reading wurden 2.000 Arbeitnehmer und Unternehmer zum Pendelverhalten befragt. Zwei von drei Unternehmen, die eine 4-Tage-Woche anboten, gaben an, dass ihre Mitarbeiter nun weniger fahren. Wenn man dies auf die Bevölkerung hochrechnet, ist das Einsparungspotenzial enorm: Immerhin fährt derzeit jeder zweite Erwerbstätige im Vereinigten Königreich entweder selbst zur Arbeit oder ist Mitfahrer. In ländlichen Gebieten fahren drei von vier Arbeitnehmern mit dem Auto zur Arbeit.
Effekt 3: Der private Konsum wird klimafreundlicher
Eine Reihe von Studien hat die Auswirkungen der Arbeitszeiten auf den individuellen Haushaltskonsum und energieintensives Verhalten untersucht. Eine US-Studie kombinierte Berechnungen der CO₂-Belastung von Gütern mit Daten zu den Konsumausgaben und kam zu dem Schluss, dass Haushalte mit längeren Arbeitszeiten einen deutlich größeren CO₂-Fußabdruck haben.
In der Studie der University of Reading gaben zwei von drei Befragten an, dass sie den zusätzlichen freien Tag mit Familie und Freunden verbringen würden. Jeder Zweite würde mehr zu Hause kochen, und jeder Vierte würde sich ehrenamtlich in der Region engagieren. In der Regel handelt es sich dabei um Aktivitäten, die nicht nur erfüllend, sondern auch klimafreundlich und gut für das soziale Miteinander sind.
Effekt 4: Unsere Freizeitaktivitäten nehmen ab
Mehr freie Zeit schafft Raum für CO₂-ärmere Aktivitäten: Lesen, Spielen, Sport, Zeit mit der Familie. Zur Abwechslung mal einen Film sehen, mehr spazieren gehen, mehr Weiterbildung – kurz: Entschleunigung und Selbstverwirklichung. Untersuchungen zu den Auswirkungen der Arbeitszeitverkürzung in Frankreich haben klare Trends hin zu mehr häuslichen und kohlenstoffärmeren Tätigkeiten aufgezeigt. Die Einführung der 35-Stunden-Woche in Frankreich hat den Tagesablauf der Arbeitnehmer stark verändert.
Anders als von vielen befürchtet, nutzten die Menschen ihre freie Zeit nicht, um mehr zu konsumieren. Stattdessen kümmerten sie sich um sich selbst und führten ein entspannteres Leben.
Effekt 5: Kürzere Arbeitszeiten sind gut für unsere Gesundheit – und sparen sogar CO₂.
Mit einem Drei-Tage-Wochenende – und mehr Freizeit – können wir mehr Zeit im Freien verbringen, Ausflüge zu Fuß machen und sind weniger gestresst. Lange Arbeitszeiten werden mit Stress und einem erhöhten Risiko für Burn-out, Muskel-Skelett-Beschwerden und psychische Erkrankungen in Verbindung gebracht. All dies zu behandeln, kostet Geld – und verbraucht Ressourcen: Medikamente haben lange Lieferwege, Gesundheitseinrichtungen brauchen Energie, und Patienten und Angehörige sowie das Personal müssen weite Wege zurücklegen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir Klimaschutz und Arbeitszeit vernetzt denken und gestalten sollten. Die Produktivität hat in den letzten Jahrzehnten immer zugenommen. Und in den Bereichen, in denen keine klassischen Produktivitätssprünge möglich sind – im Gesundheitswesen, in der Pflege, in der Elementarpädagogik, im Bildungswesen – arbeiten die Beschäftigten schon heute selten in Vollzeit, weil die Arbeitsbelastung in diesen Berufen hoch ist. Der Weg zu kürzeren Arbeitszeiten wäre also klar. Es fehlt nur noch der politische Wille.
Bild: Eisbär und Eisberg (Symbolbild)
Autor: Anja
Quelle: pixabay.com
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