In der Unterhaltungssendung Käpt‘ns Dinner traf Gastgeber Michel Abdollahi am 7. Mai 2022 auf die tagesthemen-Moderatorin Caren Miosga. Dabei enthüllte Miosga, dass sie und ihr Team an der täglichen tagesthemen-Sendung von 11 Uhr an arbeite und ihr oftmals das Endprodukt gegen 22 Uhr dennoch nicht richtig gefalle.
Von Maren Müller
Tags zuvor berichtete Peter Hahne, seines Zeichens ehemaliger Moderator des heute journals, dass das Wichtigste, was er als Journalist einst lernte, war, alles zu hinterfragen.
Wir haben hier also zwei „Schwergewichte“ der wichtigsten deutschen Informationsmedien und man ist geneigt zu fragen, was geschieht denn dieser Tage eigentlich in den Redaktionen, seien es die des Fernsehens oder die der Druckmedien?
Denn nach ihren eigenen, im Vergleich zu den „nicht-demokratischen Ländern“ stets hoch gelobten Grundsätzen, handeln sie ja offensichtlich seit Ausbruch des Konflikts der Ukraine mit Russland nicht mehr: Denn gemäß der Publizistischen Grundsätze (Pressekodex) gibt der deutsche Presserat unter Ziffer 1 an:
WAHRHAFTIGKEIT UND ACHTUNG DER MENSCHENWÜRDE
Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse. Jede in der Presse tätige Person wahrt auf dieser Grundlage das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Medien.
Immerhin gönnt uns die Online-Redaktion von heute im „Konflikt-Blog“ einen Hinweis, der in den Nachrichtensendungen ein ums andere Mal nicht genannt wird:
Anmerkung der Redaktion
Angaben zum Verlauf des Krieges oder zu Opferzahlen durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Seite können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Das ist immerhin etwas, doch letztlich ist dies mittlerweile auch nur noch eine Worthülse, wie die ständig in die Beiträge eingebrachten – und im Regelfall meist nicht geprüften oder prüfbaren (s.o.) – „Kriegsverbrechen“ und „Menschenrechtsverletzungen“. Diese nahezu inflationär gebrauchten Termini, mit einer doch sehr schwerwiegenden Bedeutung, haben nahezu ausnahmslos einen Ursprung: die ukrainische Seite des Konflikts.
Hier sollten eigentlich bei jedem, und vor allem unseren wichtigsten Nachrichtenredaktionen, die Glocken schon hell klingeln. Es ist nur allzu verständlich, dass für viele – und nicht zuletzt die Westdeutschen – das „Feindbild“ Sowjetunion und nun Russland tief verwurzelt ist. Diese allgegenwärtige Antipathie, geprägt über Jahrzehnte des Kalten Krieges, hinterlässt Spuren. Ungeachtet der Tatsache, dass Russland seit gut 3 Jahrzehnten ein zutiefst kapitalistisches Land ist.
Und wie viele andere kapitalistische Länder, mit denen Deutschland beste Beziehungen pflegt, ob von Diktatoren, Religionsfanatikern oder Pseudodemokratien beherrscht, ist Russland kein strahlendes Licht der Demokratie, Freiheit, oder was sonst noch so als „gutes“ Wertesystem nach unseren Vorstellungen proklamiert wird. Anders als die meisten dieser Länder ist Russland jedoch eine Weltmacht, eine Atommacht.
Und letztlich eben auch ein möglicher „Gegner“, den man immer wieder als solchen ausmachen kann – und wenn es nur darum geht, von aktuellen eigenen, für gewöhnlich hausgemachten Problemen abzulenken. Diese Art der Politik hat schon Julius Caesar vor 2.000 Jahren vor einem verfrühten Ableben verschont: suche eine Bedrohung und verkaufe sie gut in der Heimat.
Nun ist „die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit als das oberste Gebote der Presse“ natürlich schwierig, wenn die deutschen Medienvertreter im Krisengebiet zumeist nur auf „ukrainischer Seite“ unterwegs sind, stets in Begleitung von ukrainischem Militär und dergleichen. Man würde dennoch erwarten, dass man auch die Informationen aus dem Gebiet der „Separatisten“ sichtet und diese – wenn schon nicht zeigt – zumindest mit dem Material von der ukrainischen Seite abgleicht, nicht zuletzt, um Behauptungen zu relativieren oder gänzlich als solche zu entlarven.
Ein ums andere Mal wird jedoch das Material der ukrainischen Seite, nicht zuletzt, wenn sie auf dramatische Weise von Herrn Selenskyj persönlich in das Smartphone gesprochen werden, nahezu mit selbem Wortlaut dem deutschen Publikum präsentiert – was nicht selten genug gänzlich an der Realität vorbeigeht. Doch kann das doch nicht der Maßstab deutscher, qualitativ hochwertiger Berichterstattung sein?
Wo es dann aber wirklich mit unserer medialen Landschaft seit Beginn des Konflikts bergab geht – und man hat hier schon vor langer Zeit die Talsohle erreicht, auch wenn man stets versucht, noch tiefer zu graben – ist der Fakt, dass nahezu jeder Hinweis auf den Grund des russischen Eingreifens gänzlich ungenannt bleibt. Ganz so, als hätte es den Machtwechsel 2014 nicht gegeben, den Krieg der Kiewer Regierung gegen die Bewohner der Ostukraine – ihre eigene Bevölkerung. Erstaunlicherweise bleibt auch unsere Qualitätspresse bei der letzten Nennung dieses Grundes sehr still – obgleich man zumindest bei unseren Diplomaten erwartet hätte, sich dies zu Gemüte zu führen. Für jene, die nicht wissen, was am 9. Mai 2022 gesagt wurde, hier ein Beitrag aus den USA zu diesem Thema:
Ukraine – Putin On Why The War Started, Failed Attempts On Snake Island, Other Issues
Der wichtigste Teil von Wladimir Putins Rede bei der Siegesparade auf dem Roten Platz ist eine Erklärung darüber, wie der aktuelle Krieg in der Ukraine begann. Putin hat Recht, wenn er dies als Stellvertreterkrieg der NATO gegen Russland sieht:
„Trotz aller Kontroversen in den internationalen Beziehungen hat sich Russland immer für die Errichtung eines gleichberechtigten und unteilbaren Sicherheitssystems eingesetzt, das für die gesamte internationale Gemeinschaft dringend benötigt wird.
Im vergangenen Dezember haben wir vorgeschlagen, einen Vertrag über Sicherheitsgarantien zu unterzeichnen. Russland forderte den Westen auf, einen ehrlichen Dialog auf der Suche nach sinnvollen und akzeptablen Lösungen zu führen und die Interessen des anderen zu berücksichtigen. Alles vergebens. Die NATO-Staaten wollten nicht auf uns hören, was bedeutet, dass sie ganz andere Pläne hatten. Und wir haben es gesehen.
Eine weitere Strafoperation im Donbass, eine Invasion unserer historischen Länder, einschließlich der Krim, war offen im Entstehen. Kiew erklärte, dass es Atomwaffen erlangen könne. Der NATO-Block startete eine aktive militärische Aufrüstung in den an uns angrenzenden Gebieten.
So wurde direkt an unseren Grenzen ständig eine absolut inakzeptable Bedrohung für uns geschaffen. Alles deutete darauf hin, dass ein Zusammenstoß mit Neonazis und Banderisten, die von den Vereinigten Staaten und ihren Handlangern unterstützt wurden, unvermeidlich war.
Lassen Sie mich wiederholen, wir haben gesehen, wie die militärische Infrastruktur aufgebaut wurde, Hunderte von ausländischen Beratern ihre Arbeit aufgenommen haben und regelmäßige Lieferungen modernster Waffen aus den NATO-Staaten eingetroffen sind. Die Bedrohung wuchs jeden Tag.
Russland startete einen Präventivschlag gegen die Aggression. Es war eine erzwungene, rechtzeitige und die einzig richtige Entscheidung. Eine Entscheidung eines souveränen, starken und unabhängigen Landes.“
Die Verwendung von „Präventivschlag“ ist etwas irreführend.
Tatsächlich begann die Ukraine den Krieg am Mittwoch, dem 16. Februar 2022, als ihre Streitkräfte in der Nähe der Donbass-Republiken mit vorbereitenden Artillerieschlägen für einen umfassenden Bodenangriff auf die Donbass-Republiken begannen. Der Bericht der Sonderbeobachtermission der OSZE in der Ukraine vom 15. Februar verzeichnete etwa 41 Explosionen in den Waffenstillstandsgebieten. Dies erhöhte sich auf 76 Explosionen am 16. Februar , 316 am 17. Februar, 654 am 18. Februar, 1413 am 19. Februar, insgesamt 2026 am 20. und 21. Februar und 1484 am 22. Februar.
Die Missionsberichte der OSZE zeigten, dass die große Mehrheit der Aufprallexplosionen der Artillerie auf der separatistischen Seite der Waffenstillstandslinie stattfanden.
https://www.moonofalabama.org/12i/oscefeb21.jpg
Am 19. Februar kündigte der ukrainische Präsident Selenskyj auf der Münchner Sicherheitskonferenz an, dass die Ukraine das Budapester Memorandum und alle damit verbundenen Vereinbarungen aufgeben werde. Das Budapester Memorandum handelt von der Verpflichtung der Ukraine, ein Nicht-Atomwaffenstaat zu werden.
Diese beiden Probleme, ein bevorstehender Bodenangriff auf den Donbass und die Drohung der Ukraine, nach Atomwaffen zu streben, trieben die russische Entscheidung am 21. Februar voran, die Donbass-Republiken als unabhängige Staaten anzuerkennen. (Der gesetzliche Vorreiter dafür ist die „westliche“ Anerkennung des Kosovo als unabhängiger Staat.)
Gemeinsame Verteidigungsabkommen zwischen den unabhängigen Staaten und der Russischen Föderation wurden unterzeichnet. Drei Tage später, während der ukrainischen Angriffe auf die Donbass-Republiken, drangen russische Truppen gemäß Artikel 51 der UN-Charta in die Ukraine ein.
Der genannte Artikel 51 in deutschem Wortlaut:
Artikel 51
„Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat. Maßnahmen, die ein Mitglied in Ausübung dieses Selbstverteidigungsrechts trifft, sind dem Sicherheitsrat sofort anzuzeigen; sie berühren in keiner Weise dessen auf dieser Charta beruhende Befugnis und Pflicht, jederzeit die Maßnahmen zu treffen, die er zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit für erforderlich hält.“
Ein Bodenangriff wird, wie man es jetzt auch immer wieder sieht, durch konzentrierten Artilleriebeschuss vorbereitet. Die Angaben oben wurden sämtlichst von unabhängigen Kriegsbeobachtern der OSZE getätigt und John Kirby (Pressesprecher des US-Außenministeriums bis 2017 und nun Assistent des Verteidigungsministers für öffentliche Angelegenheiten der Vereinigten Staaten seit 2021) erklärt freimütig, dass die Regierung Biden Waffen in die Ukraine schickt, und dies schon in den letzten 8 Jahren geschah.
Hierbei sei angemerkt, dass alle oben genannten Angriffe (die Zahlen der in jenen Tagen getöteten Ostukrainer werden unsere Journalisten sicher auch herausfinden) unter dem Oberbefehl von Wolodymyr Selenskyj stattfanden. Ob er damals schon ein olivgrünes T-Shirt trug?
Mit Beginn des Konflikts wurde nahezu jegliche neutrale Berichterstattung zum Krieg und dessen Hintergründen gänzlich aus den deutschen Medien ferngehalten oder, was schwerer wiegt, für jedermann eigentlich einsehbare Fakten und Realitäten übergangen. Halbwahrheiten als Nachrichten präsentieren? Fakten unterschlagen? Welchen Maßstab legt die deutsche Presse mittlerweile an?
Nahezu jeden Tag gibt das russische Verteidigungsministerium vergleichsweise unspektakuläre Berichte zu den Handlungen der Truppen und der Lage. Für den geneigten westlichen Leser auch auf Englisch. Dabei wurde recht früh gesagt, dass das Ziel der „Operation“ die Beseitigung der Kiewer Truppen aus dem Donbass sei, welche seit Jahren gegen die dortige Zivilbevölkerung Krieg führt. Gerne benutzen die deutschen Medien das Wort „Separatisten“, welche von Russland unterstützt werden.
Andernorts, wenn es für die westliche Wertegesellschaft angemessener scheint, wären das wohl dann „Freiheitskämpfer“, wie etwa dereinst die Taliban, als es noch gegen die Sowjetunion ging, bevor sie zu Terroristen umdeklariert wurden. Ein Blick auf die Karte der Ukraine, welche darstellt, inwieweit dort Russisch als dominante Sprache vorherrscht („passenderweise“ Rot) reicht, um zeigen, worauf das russische Militär und ihre Verbündeten abzielten.
https://en.wikipedia.org/wiki/Russian_language_in_Ukraine#/media/File:Russianlang2001ua.PNG
Man muss kein Stratege oder Militäranalytiker sein, um, im Abgleich mit einer aktuellen Lagekarte, feststellen zu können, dass die „russische Seite“ ihre Ziele nahezu vollständig erreicht hat, ungeachtet dem, was im Westen über den Zustand und die angeblichen Verluste der Truppen geschrieben wird: die Beseitigung der militärischen Bedrohung der Donbassrepubliken und eine Demilitarisierung der angrenzenden Gebiete. Hinzu kommt ein direkter Zugang zum Schwarzen Meer und der Krim.
Der Rückzug aus den nördlichen Regionen war Teil dieses Plans, denn so band man dort Streitkräfte der Ukraine, um sie von Kampfhandlungen im Südosten fernzuhalten. Ein ums andere Mal berichten die Tagesthemen, Tagesschau und das heute journal von dem Beschuss auf westukrainische Ziele, wobei hier oft „Menschen“ getötet werden, um nicht Militärangehörige zu sagen. Denn wie man aus den russischen Berichten und wenig später auch ukrainischen Quellen (offiziell wie inoffiziell) entnehmen kann, zerstören die russischen Raketen und Cruise Missiles systematisch die militärische wie auch logistische Infrastruktur im Rest der Ukraine, so dass viele Waffenlieferungen aufgehalten oder zerstört, Ölraffinerien ausgeschaltet und der Nachschub generell behindert werden.
Anders noch als die USA im Irakkrieg, setzen die russischen Streitkräfte massiv auf Drohnen und Satellitenüberwachung und selbst Mitarbeiter des US-Militärgeheimdienstes gaben zu, dass die von den russischen Angriffen verursachten Schäden und Opferzahlen vergleichsweise gering seien – gemessen daran, zu was die russischen Streitkräfte fähig wären.
Vielleicht nehmen sich Frau Miosga und ihre Kollegen beim ZDF während den langen Stunden zwischen Arbeitsbeginn und Sendezeit einfach auch mal die Worte von Herrn Hahne zu Herzen, die eigentlich für jeden Journalisten gelten sollten, der den Beruf ernst nimmt, und hinterfragen alles, bevor es gesendet oder geschrieben wird. Meist sind die Informationen frei zugänglich und es bedarf keiner harten Investigativarbeit, sie zu finden.
Ihnen, den Journalisten von ARD, ZDF und den Druckmedien, obliegt die wahrhaftige und neutrale Berichterstattung. Ihnen obliegt es, jene Politik in Frage zu stellen, die Europa und somit Deutschland in einen 8 Jahre andauernden, nahezu völlig ignorierten Krieg zerrt, bei dem die Opfer- und Täterrollen – wenn überhaupt – keineswegs klar sichtbar sind und durch die deutschen Medien dank ihres alten „Feindbildes“ mit gnadenloser Ignoranz verzerrt werden.
Es wird Zeit, dass die deutschen Journalisten endlich wieder dem eigenen Pressekodex folgen und sie können dabei mit einer ganz einfachen, aber dennoch so gewichtigen Frage beginnen: Wem nützt das? Und bevor man hier ins Archiv der Worthülsen entschwindet, sei ein Satz von Egon Bahr aus dem Jahre 2013 genannt:
„In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“
Bild: Fake News
Autor: Gordon Johnson
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